Präventivfunktion oder leere Drohung? (1)

2022-06-14 01:39:48

Ist der Schadenersatzanspruch aus Art. 82 I DS-GVO ein stumpfes Schwert oder eine echte Option, um gegen Datenschutzverstöße vor deutschen Gerichten vorzugehen? In dem Artikel wird die derzeitige Stellung der deutschen Gerichte für und wider des Präventivschadenersatzes diskutiert und mit den Erwägungsgründen zur DS-GVO verglichen. Es besteht die Chance, dass der EuGH das Schadensrecht, wie wir es in Deutschland bislang kennen, umkrempeln wird.

 

A.

Grundsätzlich dient im deutschen Zivilrecht der Schadensersatz lediglich dem Schadensausgleich. Dies zeigt sich in den Vorschriften der §§ 249 ff. BGB. Der Schadensersatz soll den Zustand wiederherstellen, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde. Die durch das Ereignis gestörten Vermögensverhältnisse sollen kompensiert werden. Er verfolgt neben der Ausgleichsfunktion keine Präventivfunktion (Oetker, in Münchener Kommentar zum BGB, § 253 Rn. 8f.), wobei die Genugtungsfunktion des Schmerzensgeldes nach § 253 II BGB davon abweicht. Er richtet sich somit nur nach dem tatsächlichen Schaden des Geschädigten. Der Schädiger, der Grad seines Verschuldens oder seine Motive werden nicht betrachtet. Eine Bestrafung oder Abschreckung des Schädigers ist nicht vorgesehen.

Nach Art. 82 I DS-GVO hat jede Person, der aufgrund eines Verstoßes gegen die DS-GVO ein Schaden entstanden ist, einen Anspruch auf Schadensersatz. Dabei ist ausdrücklich von materiellen und immateriellen Schäden die Rede. Welche Voraussetzungen ein solcher immaterielle Schaden hat, geht aus der Norm jedoch nicht hervor. Laut dem Erwägungsgrund 146 S. 3 zu dieser Norm soll der Begriff des Schadens im Lichte der Rechtsprechung des EuGH weit ausgelegt werden und auf eine Art und Weise, die den Zielen der Verordnung entspricht. S. 6 fügt hinzu, dass die betroffenen Personen einen vollständigen und wirksamen Ersatz des erlittenen Schadens erhalten sollen.

Aus diesem Verweis auf die europäische Rechtsprechung ergibt sich, dass der Schadensersatz nicht nur zur Kompensation, sondern gerade auch zur Prävention fungiert (Boehm, in Simitis/Hornung/Spiecker, Datenschutzrecht, 2019, Art. 82 DS-GVO Rn. 26; Moos/Schefzig, in Taeger/Gabel, Art. 82 DS-GVO Rn. 5, 26.). Dies korrespondiert auch mit der europäischen Entwicklung, verlangt der EuGH doch in Bezugnahme auf den Effektivitätsgrundsatz, dass nationale Schadensersatzvorschriften zur Umsetzung europäischer Vorgaben einen rein symbolischen Schadensersatz übersteigen. Stattdessen soll der Schadensersatz abschrecken und einen Anreiz setzen weitere Verstöße zu verhindern. Als Begriff einer europäischen Verordnung ist er autonom auszulegen. Es kann hierbei nicht auf nationale Regelungen zurückgegriffen werden (Bergt, in Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, Art. 82 Rn. 17; EuGH Urt. v. 10.4.1984 – Rs 14/83, NJW 1984, 2021 (2022); EuGH Urt. v. 17.12.2015 – C-407/14, EuZW 2016, 183 (184 f.)).

Auch muss die Auslegung des Begriffes den Zielen der Verordnung entsprechen. Erwägungsgrund 75 und 85 zählen einige mögliche Schäden auf, darunter Diskriminierung, Identitätsdiebstahl, finanzielle Verluste, Rufschädigung, aber auch der Verlust von Vertraulichkeit oder wirtschaftliche oder gesellschaftliche Nachteile. Zudem nennt Erwägungsgrund 75 auch die bloße Verarbeitung einer großen Menge personenbezogener Daten einer großen Anzahl von Personen.

Macht eine betroffene Person einen Anspruch auf Schadensersatz nach Art. 82 I DS-GVO geltend, so trägt sie grundsätzlich die Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Aus dem Accountability Prinzip aus Art. 24 I 1 DS-GVO ergibt sich allerdings eine Pflicht für den Verantwortlichen, sicherzustellen, dass die durchgeführte Verarbeitung dem Datenschutzrecht entspricht und dies auch nachweisen zu können (Bergt, in Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, Art. 82 Rn. 46). Der rechtswidrige Umgang mit den Daten muss schuldhaft erfolgen, wobei Art. 82 III DS-GVO hinsichtlich des Nachweises eine Beweislastumkehr vorsieht. Es wird zunächst ein schuldhaftes Verhalten vermutet, der Schädiger kann sich jedoch exkulpieren.

 

B.

Bisher wurde der immaterielle Schadensersatzanspruch von deutschen Gerichten unterschiedlich beurteilt. Zum Teil wurde Geschädigten ein Anspruch gewährt, wobei sich die Gerichte teilweise explizit auf die abschreckende Wirkung bezogen und Summen von 300 € bis zu 5000 € zusprachen (LG Lüneburg Urt. v. 14.7.2020 – 9 O 145/19, BeckRS 2020, 36932; AG Pforzheim ZD 2021, 50 Rn. 28; ArbG Dresden ZD 2021, 54 Rn. 17; ArbG Köln Urt. v. 12.3.2020 – 5 Ca 4806/19, BeckRS 2020, 31544; ArbG Düsseldorf NZA-RR 2020, 409 Rn. 85 ff.).

In anderen Fällen wurde ein Anspruch aufgrund fehlenden immateriellen Schadens verneint. Begründet wurden diese Entscheidungen damit, dass es sich um einen bloßen Bagatellverstoß ohne eine ernsthafte Beeinträchtigung handele. Ein solcher Verstoß, der eine gewisse Erheblichkeitsschwelle nicht überschreitet, solle nicht zur Begründung eines Anspruchs wegen immateriellen Schadens ausreichen. Es bedürfe hingegen einer objektiv nachvollziehbaren Beeinträchtigung von einigem Gewicht, wie beispielsweise die öffentliche Bloßstellung einer Person. Für eine bloß individuell empfundene Unannehmlichkeit sei noch kein Schmerzensgeld zu gewähren (LG Landshut ZD 2021, 161 Rn. 18; AG Hannover Urt. v. 9.3.2020 – 531 C 10952/19, BeckRS 2019, 43221 Rn. 20; AG Frankfurt a. M. ZD 2021, 47 Rn. 29f; LG Köln ZD 2021, 47 Rn. 14).

Als weiterer Grund wurde angeführt, dass ein Verstoß gegen die DS-GVO allein noch keinen Schaden begründe. Nicht jede Datenschutzverletzung durch nicht DS-GVO-konforme Datenverarbeitung stelle automatisch einen ersatzfähigen Schaden dar. Es bestehe keine Ausgleichspflicht aus generalpräventiven Gründen. Grundsätzlich seien immaterielle Schäden bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen ersatzfähig, jedoch bedürfe es einer konkreten, spürbaren und objektiv nachvollziehbare Beeinträchtigung. Wenn diese auch nicht schwerwiegend sein müsse, müsse sie dennoch die Zuerkennung eines Schmerzendgeldes rechtfertigen (LG Frankfurt a. M. ZD 2020, 639 Rn. 45; LG Karlsruhe ZD 2019, 511 Rn. 17; LG Landshut ZD 2021, 161 Rn. 18; AG Hannover Urt. v. 9.3.2020 – 531 C 10952/19, BeckRS 2019, 43221 Rn. 18; AG Frankfurt a. M. ZD 2021, 47 Rn. 29f).